as isch halt divers

 

Kürzlich waren wir im Schauspielhaus Zürich. Im „Blutstück“, die Umsetzung des Erfolgs-Buches „Blutbuche“ von Kim de l’Horizon. Also etwas nonbinäres – nemoartig. Kims Texte sind ja supr. Dazu spielt er auf der Bühne mit  und zwar sauguat. Jetzt hatte ich das Pech, das er mich Alten-Weissen-Glatzni auslas zu einem Sponti-Interview. Er kletterte über mehrere Sitzreihen bis zu meiner Reihe 6. Die Aufwärm- und Smalltalkfragen…lasse ich weg.

Ich hätte in den Boden versinken wollen…Was man ja im Pfauen nicht kann. Dort gibts auch einen Keller..und Bündner Zuschauer.

Und dann erzählte er, wie er mehrfach schon öffentlich zusammengeschlagen wurde, weil eben nonbinär.

Die Angriffe auf Nonbinäre haben statistisch tatsächlich enorm zugenommen.

(Und ich ertappe mich, wie ich ebenso reaktionär wie binär in der männlichen Form schreibe. Es hiesse also…“es spielt auf der Bühne…“. – Si*er schreibt zwischen den Gattungen)

OK, die zweite nach der Du-Frage war also: „ Würdest Du mich raushauen in einem solchen Falle…?“ Als queere Person denen keine eigene Stimme eingeräumt wird. tabuisiert und kriminalisiert..

Ich sagte vorsichtig sowas wie ÄÄH-ÄHM-Ich-hätte-wohl-Angst-aber-vielleicht schon…

Das Eis war gebrochen, wir smalltalkten dann im Takt, ziemlich übereinstimmend mit freundlichen 
Vibes weiter. Dann viel Applaus. Zu meiner Überraschung kamen nach dem Schlussapplaus spontan einige (wohl) Normalos, die meisten grauhaarigen Auch-SeniorenInnen, die anerkennend bestätigten, dass ich ihnen aus dem Herzen gesprochen hätte..

Man könne doch vieles verstehen, ändern, reflektieren…es müsse ja nicht alles sein wie in den 50er Jahren..Es wird ja heute viel, sehr viel, beschrieben, aber vermutlich ist es das, was noch nicht beschrieben wurde, tüpft.

Mit der amoniakalen Hirn-Fäulnis meiner über 75 Jahre kann ich das natürlich als menschlich-sensitiv-einfühlend-zuhörend-achtsam abbuchen. Hochjubeln. (Ein Blitzen momentanlang aus den hintersten Augenhöhlen, ein wie spitzbübisches Wohlsein kam schon auf.)

Aber doch: es machte mich nachdenklich. Eher Peinlich-Berührtsein wäre angebracht. Ein Knorz mit dem dritten Geschlecht haben wir schon.

Weil unter unsereiner niemand so ganz ernsthaft das Problem bewegend findet. Und ja eine gewisse Onkelhaftigkeit hab’ ich da schon. (es ist ja auch leicht, wenn es einem nicht so betrifft…)

Wie betäubt oder sediert nimmt unsere Alterskohorte noch dies wahr? Ist ja auch leicht den guten Onkel auszustrahlen (betrifft ja einen nicht so stark…) Ist schon stark sich  selbst locker-liberal zu sehen.
Auf Schiffskreuzfahrten begegnet man dem  ja weniger. Und aus meinen eigenen Umfeld weiss ich: Ranzige Witze über Geschlechter sind immer noch bingo.

Der Weltalltag wird auch immer etwas unübersichtlicher, diverser.

Guat, man weiss  auch, dass ein Perpetuieren des jugendlichen Ichs einen zum Esel werden lassen würde. Also so Heyho-ich-bin-doch-jung

Unsere Alterskategorie scheint sich aber nicht unbedingt mit nonbinär zu befrieden.

Ist ja auch nicht leicht, etwas das man nicht so kennt, einfach zu akzeptieren.

Da werden die einen grantig , die anderen aggressiv wie Gaga-Glarner.

Wie ranzig denken wir eigentlich? Man kommt schnell ins Altmännerhafte. Guat, man sagt, ein Mann der mehr als einen schlüpfrigen Witz pro Monat erzählt, ist senil…Peinlichpeinlich.Aber mitten in Zürich  einfach so zusammengeschlagen zu werden? Weil man anders ist.

Szenenwechsel: In der Garderobe meines Fitnessclubs in Chur war kürzlich ein junger Chinese, gut gebaut, eher androgyn, sich sehr feminin bewegend: Und der zog sich einfach um für eine Cycling-Stunde.

Eine gewisse Beklommenheit kam auf. Die Männer (zwischen 5o und 80 im Schnittt) wussten nicht so recht…

 

Wo gehört der/die hin? Die Raumgeräusche sanken um einige Dezibel. Alles etwas benommen. Und einer, der sonst seine Witze locker los wird, reagierte mit komischen Blick zu mir. Raunte dann: „ Was ist mit dem los?“ Da wurde es auch mir etwas peinlich.

Der mittelalterliche Kantonspolizist, der immer ruhig sein Training macht, ihn offenbar kannte, packte es dann: „ Jo, dä isch aifach schwul.“ – Sonst noch was? Macht doch nicht so einen Aufwand.

Trösten kann man sich (kann man doch stolz sein) diese Inkommensurabilität die prinzipielle Unvergleichbarkeit grundlegend unterschiedlicher Existenzweisen zu registrieren, sagt der Soziologe.

Nobinär: Das ist wahrscheinlich wie so ein Rohrschachtest. Man sieht sich die an. Und versucht zu verstehen. Versteht dann nicht alles. Aber doch immer etwas mehr..

Heute vielleicht noch der vielleicht scheiternde Versuch etwas verstehen zu wollen.

Ein anderes Theater: Gewohnt, wenn ich Freunde am Stamm treffe, (alles Männer) die ich nun etwa 60 Jahre lang kenne, wundere ich mich nicht über alle Formen von Bass-Schmettern, Schallen, Glucksen, Blöd-aus-der-Wäsche-schauen, oder gar inneres Schenkelklopfen bei manchen sexistischen Sprüchen…Von Aussenseitern wird diese Testosteron-Zusammenballung wohl als eine unausgelastete Fröhlichkeit von Senioren wahrgenommen. Nicht schlimm.

 

Am Stammtisch kann man leicht erkennen, wer  Thomas Mann kennt. Oder mindestens Dürrenmat. Oder gar Foster Wallace. Aber vor allem wer bei Gurt-Krimis stehengeblieben. Nicht so in dieser Situation. Man kann nicht einordnen. Auch nicht schlimm.

In der Literatur hört man: Schwul reicht sowieso nicht, weil cis-normativ, Trans ist gut, irgendetwas Neues, was die Leute nicht checken so nonbinär agender fluid, sowas brauchts. Für mich eine Art Realwerdung endzeitlicher Szenarien des Buch-Marketings (also nicht die erotische Orientierung, eher die TikTokisierung.)

Schlimmer aber, wenn man einfach so authentisch vom Gegenüber hört, dass er deshalb (also ES-halb)zusammengeschlagen…und wie.

Genug: eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich mit dem ER/SIE/ES noch nicht so ganz zu Gange komme. Es wird vielleicht besser . Und meinen Stammtisch kann ich ja nicht unbedingt als geriatrisches Veränderungs-Labor missbrauchen. Krachendes Lachen erzeugt das nicht. Eher Peinlich-Berührtsein, weil sich niemand auf die Schenkel klopft. Weil wohl so gestandene Schweizer Senioren wie ich –wie Pittbulls– die eigene Angst riechen.

Solange sie dann nicht beissen, isch scho guat.

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