Brülltheater

Letzte Woche waren wir wieder einmal im TAK- dem Theater am Kirchplatz in Schaan. Da viel Geld im Ländle kaufen die gerne grossartige Stücke ein. Diesmal ein kritikbejubelter „Volksfeind“ von Ibsen – inszeniert vom Top-Regisseur Kimming, Hannover, früher ein mehrfach prämierter Regisseur.

„Volksfeind“ ist die Geschichte eines Kur- und Heilbades, dass stark mit Giftstoffen belastet ist. Die Kurärztin, Schwester des Bürgermeisters, versucht die Öffentlichkeit für sich (und für eine Schliessung plus Neubau) zu gewinnen. Und kommt unter die Räder. Was ist jetzt die Wahrheit, Menschenleben gegen Wirtschafteinbussen? Viel Ruhestörung mit Personen-Clash.

Erinnert nicht zufällig an viele Gegebenheiten, von Deutschland bis Graubünden. An Woke-Bashing, Monopol-Medien oder überdemokratischen Zerschlissenheits-Sinn.

Das Zwickmühlegegrübel über unseren Planeten inbegriffen.

„Brandaktuell ist dieser 140 Jahre alte Stoff. Umwerfend.“ schrieben die deutschen Medien. Und das ist er auch.

Die Schauspieler und Anja Herden als Ärztin insbesondere spielten überzeugend kämpferisch, voller Lust und List, Klarheit und Überzeugungskraft und dann wieder mit Verzweiflung und äußerster Wut.

Also heftiger Applaus. – Bei mir kommt so ein déjavu-Grummeln.

Da brüllen und kreischen sich tolle Schauspieler die Seele aus dem Leib: Weltuntergang…

…macht endlich was gegen die Klimaerwärmung….und die gut aufgestimmten Lichtensteiner-Mittelschüler fanden das auch gut…(wir natürlich auch rein polit-ideologisch).

Die Cuteness des Ganzen jetzt abzugurgeln genügt nicht. Klar, die Welt rast im Schnellvorlauf in die Scheisse. Wer noch keine Partei hat, kauft sich eine.

Und, na ja, die NZZ lässt den stockkonservativen Martin Grichting diese Woche gegen die Klimajugend wettern: „Die Klimaschützer wollen, dass wir in Panik geraten. Damit bereiten sie den Boden für Zwang und Gewalt.“ Ziemliches Geschwurbel. (Nebenbei: Man kann sich auch seine letzten Leser noch bei den Rechtskatholischen kaufen.)

Und zum Schauspielhaus meint der Literaturkritiker derselben Zeitung:, er vermisse nicht „den ideologisch verengten, politisch eindimensionalen Diskurs“ und „das am woken Zeitgeist orientierte Erziehungsprogramm, das dem Publikum verordnet wurde…“– Das ist nicht nur zeitgeistfern sondern auch intelligenzfern.

 

Der Ausgangspunkt des Erkennens des „Volksfeindes „war bei mir aber keine wohlerwogene Meinung über den Inhalt, sondern über Theater-Regie im Jahre 2023.

War da nicht etwas eingerastet, etwas hängengeblieben, wie ein Kratzer in der Schallplatte,

der das Weiterwandern des Tonabnehmers behindert? Kimming inszeniert wie die Castorps und Peymanns der 90er Jahre: Brülltheater augenfällig…(Natürlich war ich damals ein Fan dieser Inszenierungen. So eine Art dröhnender Protestrausch.)

Als 68er, sehr alt, rege ich mich auch auf, wenn ein Teil der Menschen (vor lauter Geld) einen anderen Teil (südlicher) kaum mehr leben lässt.

Wie meine Altersgenossen vom Zürcher Geldadel, die jetzt auch die Schauspielhaus Intendanten endgültig weggebläkt haben. Auch das ist Brülltheater.

Dass der Umweltgedanke 40 Jahre so erfolgreich die Karriereleiter hinabgeklettert, abwärts gesunken ist – mit Hilfe einiger „bürgerlicher“ Untergangsschreier gegen die erneuerbaren Energien. Blödianer ! Das Projekt „Rückschritt“ war denen immer ein Anliegen.

„Der Moment des Scheiterns ist der Moment, indem man mit der Realität in Kontakt kommt.“ (ist vom Philosophen Thomas Metzinger) Das ist wohl der Moment als Putin sowas wie „Krieg“ gebrüllt hatte und bei uns die Wohnungen auf 18 Grad gedreht wurden.

Die Welt hat sich geändert. Die Welt der spielbaren Weltenrettung hat sich geändert. Auch im Theater. Europa und die USA beschlossen am gleichen Tag als wir im TAK waren, Kampfpanzer in die Ukraine zu liefern. Klar, zupfen an unseren Mitleidsseiten ist angebracht.

Guat, bei fortschreitendem Alter ist gleiche Leistung eine Steigerung kann man vielleicht auch für Regisseure behaupten.

Da kann man auch ein Stück mit viel Energieaufwand schlaff machen.

 

Wie das so ist mit unserer Generation, die meisten sind sich (sabbernd) erinnernde Theatergänger: Ja, der Besuch der alten Dame, gell, das war noch…Ich bin aber eher ein Gegenwartsnarr…finde die Diskussion um die Qualität des Schauspielhauses Zürich so obsolet, wie heute noch über Blochers Anti-Europa-Exzess im 1992 zu reden. Neoliberale Züriberg-Pädagogik genügt da nicht. Wer sich mit Buchhaltern ins Bett legt, erntet halt nur Zahlen. Die Jahresrechnung genügt nicht fürs Verstehen.

Vielleicht sollte man auch über Alterslimite und das Pensionierungsalter der grauen Zürcher Bildungsbürger (also die, die die nicht mehr ins Schauspielhaus gehen wollen) reden…Man weiss ja, es gibt furchtbar gebildete Menschen, die grandios dumm abschneiden.

 

Eine heutige grandiose Inszenierung wie das neue Stück von Elfriede Jelinek „Sonne, los jetzt“

(auch im Schauspielhaus), hat zwar dieselbe Klima-Skandal-Basisaussage, ist aber sowas von weiter als diese Kimming-Nummer mit dem Pseudo-Friday-for-Future Geschreie und zeitgemässer Anbiederung an die Jugend.

Aber in Schaan haben sie tüchtig geklatscht (neben mir ein HSG-Professor.) Die neoliberale Verdrängungs- und Verwirtschaftlichungs-Institutionen polarisieren zwar in unseren ländlichen Kreisen noch nicht, schleichen sich aber auch schon ins Theater.

Sie wollen halt auch wie die Economie Suisse die Wirtschaftsstrategie „vorhersehbar und planbar“ machen. – Als gewöhnliche Unterhosenträger und NZZ-Leser haben wir eben immer mehr dieses vage Gefühl: „was ist , wenn ich ihn nicht hochbekomme?“ Da nützt bekanntlich aber brüllen nicht viel.

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